24. Markendialog 2020
Transformation und Marke
Marken werden heutzutage oft ambivalent erlebt: gestrig und bejubelt zugleich. Indizien finden sich für beiden Seiten: Konsumenten halten eine große Anzahl von Marken für verzichtbar, die Zahl der Marken-Lehrstühle in Deutschland sinkt. Gleichzeitig wird aber gerade heute das hohe Lied von der Bedeutung der Marken gesungen – wenn etwa der monetäre Wert von Unternehmen wie Apple oder Nike herausgestellt wird oder Online-Unternehmen wie Check24 und Uber intensiv für ihre Marken werben.
Der 24. G·E·M Markendialog ging der Frage nach, ob eine Transformation von Marke und Marketing den Hintergrund für diese unterschiedlichen Bewertungen bildet und beschäftigte sich mit neuen Fragen, Konzepten und Herausforderungen für die Markenführung.
Programm und Wrap up
Brand Work Manifesto – Neue Regeln für die Markenführung?
Den Einstieg in den GEM Markendialog 2020 lieferten Prof. Dr. Carsten Baumgarth und Prof. Dr. Dirk-Mario Boltz mit ihrem Forschungsprojekt „Brand Work Manifesto“. Ausgehend von den bekanntesten Manifesten der Menschheitsgeschichte, wie den 10 Geboten oder Marx‘ kommunistischem Manifest, hat sich das Team um die beiden Professoren der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin die Aufgabe gestellt, auf die Spannungsfelder des Marken-Managements hinzuweisen und damit die wichtigsten Faktoren zur Leitung einer Marke in Zukunft herauszustellen. In Zusammenarbeit mit einem Expertenrat wurden dafür elf provokante Paragraphen aus vier Unterkategorien entworfen, die von den Teilnehmern des G·E·M Markendialog 2020 kontrovers in Kleingruppen diskutiert wurden, wodurch ein anregender Einstieg in die Tagung entstand.
Ob die Anwesenden den Aussagen zustimmten, wurde schließlich in einem zweiten Block präsentiert. Besondere Zustimmung von je über 80% der Tagungsanwesenden erhielten dabei die Aussagen „Markenspezifische Touchpoints sind wichtiger als Standard-Kanäle“, „Kundenbegegnung ist wichtiger als externe Studien“ und „Markenethik ist wichtiger als Profitmaximierung“. Auf Ablehnung von mindestens 60% stießen hingegen die Aussagen „Mitmachmarke ist wichtiger als Markeneigentum“ und „Ranking ist wichtiger als Recall“. Am kontroversesten stellte sich die Aussage „Authentizität ist wichtiger als marktorientierte Positionierung“ dar, über welche mit 48% Zustimmung und 52% Ablehnung beinahe ausgeglichen abgestimmt wurde.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.brandworkmanifesto.org
Markenführung in Kooperation und Wettbewerb mit Plattform-Marken. Das Mit-, Gegen- und Nebeneinander von Targobank und Check24.de im Kreditgeschäft
Katharina Rubbert-Störmer, Head of Brand Management und Brand Communication, TARGOBANK AG, lieferte einen aufschlussreichen Einblick in die marketingtechnische Auseinandersetzung der TARGOBANK mit neuartigen Vergleichsplattformen im Kreditgeschäft. So stellen Vergleichsplattformen wie Check24 oder Verivox eine ernstzunehmende Konkurrenz für etablierte Banken dar. Die zunehmende Bereitschaft der Bevölkerung, Kredite online abzuschließen sowie die aggressive Marketingstrategie der Vergleicher haben die Kräfteverhältnisse im Finanzsektor verschoben. So hat sich besonders Check24 im allgemeinen Bewusstsein als etablierte Marke gefestigt, die durch neuartige Beratungssysteme nun auch eine emotionale Kernkompetenz der Banken adaptiert. Katharina Rubbert-Störmer stellte anschließend drei Handlungsoptionen für Banken dar: Innovation, Kooperation und Konfrontation. So kooperiert die TARGOBANK bereits mit Check24 als Premium-Partner, ist dort auf der Website präsent und übernimmt ggf. Kunden. Konfrontation findet durch hohe physische Präsenz und aufmerksamkeitsstarke Werbekampagnen ebenfalls statt, um das stimmungsvolle Markenbild der TARGOBANK präsent zu halten.
Pipeline vs. Plattform
Prof. Dr. Werner Reinartz, Professor für Handel und Kundenmanagement, Universität zu Köln, erweiterte die Thematik der Handels-Plattformen um die Ergebnisse seiner aktuellen Schwerpunktstudie. In dieser Studie stellt Prof. Dr. Reinartz heraus, dass Plattformen bestehende Unternehmen beeinflussen, ob sie es wollen oder nicht. Durch sie findet eine Zentrierung des Marktes auf einige wenige Anbieter statt (so sind 61% des Online-Handels auf vier Plattformen aufgeteilt), welche mit dem stationären Handel um die Kunden kämpfen und herkömmliche Distributionssysteme auf den Kopf stellen. Die Studie stellt dabei vier Charakteristika einer Plattform heraus: Die reine Vermittlungsfunktion einer echten Plattform, die Autonomie der Teilnehmer, den Wachstum durch Netzwerkeffekte und die digitale Infrastruktur, welche massiv Transaktionskosten senkt und daher den größten Unterschied zum herkömmlichen Handel darstellt. Die Antwort der klassischen, linearen Wertschöpfung sieht Prof. Dr. Reinartz dabei ebenfalls in Innovation, Kooperation und Konfrontation. Die Bildung von Plattformen sieht er im Kontext der digitalen Transformation jedoch als unumgänglich.
Weitere Informationen finden Sie hier: https://www.ifh-foerderer.de/ifh-foerderer-schwerpunktstudien/?L=828
Brand Management: Co-creating Meaningful Brands
Prof. Michael Beverland Ph.D., Professor für Marketing, University of Sussex Business School erläuterte in seinem Vortrag den Zusammenhang von Authentizität, Relevanz der Marke und Co-Creation und betonte dabei, dass Authentizität sich vor allem real anfühlen müsse, auch wenn sie nicht unbedingt real sei. Die Komplexität des Themas erläuterte er dabei anhand von fünf Paradoxa, welche Marken heute vor Herausforderungen stellen. Sie müssen sich daher klug positionieren, um heutzutage relevant zu bleiben. Die Lösung sieht Prof. Beverland dabei in der Kombination der Gegenüberstellungen – Marken müssen sowohl authentisch „sein“ als auch authentisch handeln, um nicht in Vergessenheit zu geraten oder als Poser entlarvt zu werden. Eine Strategie der Marke kann dabei auch darin bestehen, bekannten Markenbildern explizit zu widersprechen, um die Marke weiterzuentwickeln und zusätzliche Zielgruppen anzusprechen.
Think Different! Wie „denkt“ Digital China und was können wir davon lernen?
Björn Ognibeni, Trusted Digital Advisor und CoFounder, ChinaBriefs, gab in seinem Vortrag einen spannenden Einblick in die digitale Ökonomie Chinas und konnte somit eine ethisch-moralische Gesellschafts- und Arbeitsform aufzeigen, die sich von der westeuropäischen stark unterscheidet. Er wollte damit das allgemeine Vorurteil der „Kopiermaschine“ China aufbrechen und auf eine Kultur und einen Markt aufmerksam machen, der vom Westen oft ignoriert wird. Stattdessen betonte Ognibeni den wirtschaftlichen Erfolg Chinas, welcher gerade im Online-Handel Rekordhöhen erreicht. Die Begründung dafür sieht er in drei Faktoren: In der Geschwindigkeit, mit welcher China es schafft, neue Transportwege zu errichten, der unfassbaren Größe der Unternehmen, deren Aktionen und Umsätze sowie im futuristischen Denken, welches modernste Technologien bereits alltäglich gemacht hat. Besonders im Vergleich mit Deutschland besticht China in der Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen, im gesamtsystemischen und langfristigen Denken sowie der Lust an komplexen Herangehensweisen. Wo Deutschland gerne Bestehendes im Kleinen optimiert, denkt China neu und groß, wie sich auch im Konzept des „New Retail“ zeigt. Durch die Kombination von Online- und Offline-Angeboten und -Systemen schaffen es chinesische Unternehmen hier, den Einzelhandel auf eine neue Stufe zu heben und sich von herkömmlichen Systemen zu lösen.
Mehr unter: http://www.ognibeni.de/digitalchina
Wieviel Ethik braucht die Marke?
Pater Dr. Dr. Justinus Pech, außerordentlicher Professor und Lehrender an verschiedenen Universitäten in Deutschland und im europäischen Ausland, befasste sich in seinem Vortrag mit den moralischen und ethischen Anforderungen, die heute an eine Marke herangetragen werden. Er fragte, welche Institutionen heute noch für moralische Einordnung sorgen, wenn es nicht mehr die Kirche ist, deren „Marktanteil“ in den letzten Jahrzehnten rapide abgenommen hat, besonders, da sie immer mehr in Konkurrenz zu modernen Unternehmen steht. Dazu gab er einen Einblick in die grundlegenden Konzepte der Ethiktheorie und stellte heraus, dass sich die westliche Marktwirtschaft vor allem an der moralischen Bewertung eines Ergebnisses und weniger an der Handlung orientiert, was uns im Nachhinein ethisch einholen kann. Diese Frage der Konsequenzen stellt sich nun auch im Umgang mit Daten und Verbreitung einer Marke und wie weit man für einen Profit gehen darf, ohne die moralische Verantwortung zu verlieren.